Ich treffe meistens auf aufgestellte, freundliche und fröhliche Jugendliche
Als Schulleiter prägte Jürg Huber die Sekundarschule Zell massgeblich. Nach sechs Jahren verlässt er die Sek in die wohlverdiente Pension – und stand uns Rede und Antwort.
Aufgewachsen in einer vierköpfigen Familie im Würzenbach, ging Jürg auch dort zur Schule und konnte 1983 nach dem Abschluss des städtischen Primarlehrerseminars eine 2. Realklasse in Luthern übernehmen – zu einer Zeit, wo Lehrerüberschuss herrschte und nur drei Absolventen seiner Seminarklasse eine Stelle fanden!
Bereits nach einem Jahr absolvierte er die Zentralschweizer Reallehrerbildung, um dann 1986 in Hohenrain an der Gehörlosenschule eine Realklasse zu führen. «Es war eine prägende und lehrreiche Zeit mit Lernenden aus der halben Schweiz», erzählt Jürg. «Neben der Unterrichtstätigkeit leitete ich während sechs Jahren die Musikschule Ballwil und erteilte Klavierunterricht.»
Vom Lehrer in die Wirtschaft und wieder zurück
Nach vier Jahren wurde wie geplant eine Klasse gestrichen und Jürg musste sich neu orientieren. So absolvierte er an der TEKO die Ausbildung «Informatik und Betriebswirtschaft», um danach bei der Schifffahrtsgesellschaft Vierwaldstättersee die Leitung des Betriebssekretariats zu übernehmen. «Das war eine sehr spannende und lehrreiche Zeit!», meint Jürg, «doch nach vier Jahren zog es mich eindeutig wieder zurück zur Schule und zur Arbeit mit den Jugendlichen!»
So unterrichtete er in Luzern eine Werkklasse im Moosmattschulhaus und später Realklassen im Schulhaus Utenberg.
1999 wurden im Kanton Luzern Schulleitungen installiert. Im Schulhaus Mariahilf wurde für diese Aufgabe eine Lehrperson gesucht. «Mein damaliger Rektor motivierte mich, diese Ausbildung zu machen. So durfte ich während 13 Jahren die Schulentwicklung aktiv mitgestalten: Im altehrwürdigen Mariahilf-Schulhaus, der ersten Töchterschule im Kanton Luzern, bezog ich mein Büro in einer ehemaligen Klosterzelle!»
Schulinsel und Lerncoach
Im Sommer 2012 wechselte Jürg nach Küssnacht a.R., um die neue «Schulinsel» aufzubauen. Parallel dazu absolvierte er die Ausbildung zum Lerncoach: «Die Lehrpersonen konnten zu jeder Zeit verhaltensoriginelle Schüler/-innen für eine oder mehrere Lektionen auf die Schulinsel schicken», erklärt er. «Dort suchten wir dann gemeinsam nach Lösungen, damit diese Lernenden einen Weg fanden, möglichst wenig auf die Schulinsel geschickt zu werden.» Er fügt an: «Vielleicht war nur schon die Einrichtung der Schulinsel Grund genug, dass sich die Jugendlichen im Unterricht gut aufführten!»
Im Sommer 2017 entschied er sich, nochmals einen Stellenwechsel vorzunehmen. Die Sek Zell suchte gerade einen neuen Schulleiter und so bewarb er sich dort für diese Stelle – mit Erfolg. «Zell war mir von der Zeit in Luthern noch bestens bekannt, und jetzt: Nach sechs Jahren – meine zweitlängste Arbeitstätigkeit am gleichen Ort – heisst es Abschied nehmen!»
«Was sind die Hauptunterschiede zwischen deinem Einstieg und heute?»
Jürg lächelt: «Vor 42 Jahren gab es noch keine Handys, auch die Computer waren im Schulbereich noch nicht verbreitet. Die Schüler/-innen waren mehr miteinander unterwegs und viele verbrachten die Zeit in Jugend- und Sportvereinen.» Weiter meint Jürg: «Zuhause gab es meist ein Fernsehgerät und heute schaut sich jeder seinen Film auf seinem Handy oder Laptop an. Das gleiche gilt natürlich für die Musik oder auch für die Mode: Schulter- und bauchfrei sowie knapp(st)e Hotpants wurden vor Jahren ausschliesslich in der Freizeit getragen.»
Die Schülerinnen und Schüler seien sonst aber heute nicht anders als damals. Auch heute würden Streiche gespielt und herumgeblödelt… «Jedoch rauchen die Jugendlichen eher weniger als früher. Die meisten kommen grundsätzlich gerne zur Schule. Ich begegne heute meistens aufgestellten, freundlichen und fröhlichen Lernenden, so wie ich das auch früher erlebte. In diesem Sinn veränderte sich der Rahmen massiv, das Bild der jungen Menschen ist für mich aber immer noch dasselbe!»
«Was sind für dich die grössten Veränderungen bezüglich Schule?»
Jürg lacht: «Als ich 1983 als Praktikant in Luzern ein Lehrerzimmer betrat, sah ich kaum ans andere Ende, der Zigaretten-Qualm war unbeschreiblich! In einer anderen Schule gab es zwei Lehrerzimmer, je eines für die Sekundarlehrpersonen und eines für die Werk- und Reallehrpersonen.»
Zu schulischen Vorgaben meint Jürg mit etwas Schulterzucken: «Leider ist kein Ende in Sicht, was die Bürokratisierung des Lehrerberufs betrifft! Parallel zur Einführung von Schulleitungen wurden diverse Kontrollstellen eingeführt, welche Lehrpersonen und Schulleitungen überprüfen. Hunderte von Weisungen und Merkblätter der DVS begleiten die tägliche Arbeit. Ob sie wirklich zur Verbesserung der Unterrichtsqualität beitragen, lasse ich offen.»
«Wie siehst du die heutige Schule?»
«Zuerst: Die Sek ist die beste Vorbereitung hin zur Berufslehre. Der Trend zu immer mehr Kantischülern finde ich nicht gut. Mit den heutigen Möglichkeiten stehen unseren Lernenden alle Wege offen. In der Berufswelt werden Sek-Schüler/-innen, erst recht, wenn sie sich während oder nach der Lehre noch weitergebildet haben (Berufsmatura, Passerelle, etc…), sehr geschätzt.»
Zur Einführung von IF (Integrierte Förderung) meint Jürg: «Grundsätzlich finde ich Integration aller Jugendlichen sehr positiv. Dass man aber das Niveau D abschaffte, schadete. Die Förderung der teilweise schwächeren Lernenden wurde mit Einführung von IF-Stunden nicht ansatzweise ausgeglichen. Zudem müssen sie gleich viel kopfastige Fächer besuchen wie jene im Niveau A. Ich bin überzeugt, dass ein Teil der Verhaltensauffälligkeiten der heutigen Lernenden diesem Umstand zu schulden ist.»
«Was ist für die Zukunft wichtig?»
«Ganz klar: genügend ausgebildete Lehrpersonen und Klassenlehrpersonen, die bereit sind, ihre Klasse in guten wie in schwierigen Zeiten mit viel Herzblut zu begleiten!»
Er wünsche sich auch, dass in Zeiten wie jetzt mit grosser Lehrerknappheit (wird mit Sicherheit noch einige Jahre anhalten), wieder Monofachlehrpersonen ausgebildet würden. «Es gibt Sportler, Handwerker und andere Berufsleute, die sich neu orientieren wollen. Mit 40 Jahren haben aber die wenigsten von ihnen die Möglichkeit, eine vierjährige Vollzeitausbildung zu absolvieren.
Ein weiterer grosser Wunsch ist mir der Mut zur Leistung. Der Trend hin zur Wohlfühl-, Glücks- oder wie diese Schulen alle heissen, impliziert ja unterschwellig, dass die Volksschule diesen Zustand nicht auch erreichen möchte und erreichen kann! – Ich bin überzeugt, dass wir es auch in Zukunft schaffen werden, dass sich die Jugendlichen in der Volksschule wohlfühlen, obwohl auch weiterhin Leistung eingefordert wird.» Nur so entstünden die dringend benötigten Fachkräfte, die einen guten Job ablieferten.
«Dann wünsche ich mir, dass Eltern und Erziehungsberechtigte im Dialog mit der Schule anstehende Probleme angehen und diese nicht ihren Juristen übertragen. – Und zu guter Letzt wünsche ich den Lehrpersonen und Schulleitern weniger Administration und dafür mehr konkrete Arbeit mit ihren Lernenden.»
«Was machst du nun alles?»
«Zuerst will ich etwas runterfahren und mehr Zeit für meinen Familiengarten einsetzen. Dann möchte ich die Sanierungsarbeiten im Ferienhaus fortführen und in der Bergwelt neue Energie tanken. Ob zu Fuss oder mit längeren Velotouren möchte ich wieder etwas mehr an meiner Fitness arbeiten und die Zeiten hinter dem Bildschirm massiv reduzieren.
In den letzten Jahren kam auch das aktive Musizieren zu kurz, sei es am Piano, auf der Orgel oder dann als Leiter des Shanty-Chors der SGV.
Ich bin aber sicher, dass die aktive Schul-Zeit noch nicht ganz zu Ende ist. Ich werde in den nächsten Jahren, sofern es die Gesundheit zulässt, hin und wieder als Stellvertretung einspringen. Der Lehrerberuf ist für mich nach wie vor ein spannender und unter dem Strich auch sehr befriedigender Beruf. Die Arbeit als Schulleiter ist aber definitiv zu Ende.»
Michael Bieri, Peter Flückiger